3. Platz Putlitzer Preis® 2021
Am Montag ging ich in den Zoo. In jenem Zoo sind die Tiere alphabetisch geordnet und werden in Schubladen aufbewahrt. Vor dem Öffnen haben die Besucher höflich anzuklopfen und zu warten, bis sie hereingebeten werden. Wird man nicht hereingebeten, hat man noch einmal anzuklopfen, tut sich auch nach dem dritten Mal nichts, ist es dem Zoowärter zu melden.
Ich öffne eine Schublade und blicke auf ein schlafendes Nashorn. Weil immerzu Wasser aus den Schubladen schwappt, trägt der Zoowärter einen aufgespannten Schirm mit sich herum. Er ist ein niedlicher Mann, mit so kurzen Armen, dass er an keine der Schubladen herankommt. Einige von ihnen tragen Vorhängeschlösser mit einem Buchstabencode, der dem Namen des Tieres entspricht, das die Schublade bewohnt. Es gibt keinen Gast, der alle Codes kennt.
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Zwischen den L- und den M-Tieren liegen das Zoorestaurant und der Kinderspielplatz. Eine übermüdete Nachteule hat ihre Eier in die Nestschaukel gelegt, die Kinder beäugen sie misstrauisch. Ich setze mich ins Restaurant und beobachte sie. Es gibt schwarze und weiße Tische. Meiner ist aus Plastik. Ich löse meinen Blick von den Kindern und schaue hinaus, man kann bis nach Bayern sehen, denn die Wände sind aus Glas. In jeder Ecke steht eine Palme. Ich beginne sie zu zählen, aber es sind zu viele. Die Leute verweilen nie besonders lange hier, es ist ihnen zu unbequem. Meistens bleiben sie stehen, weil es sich nicht lohnt, sich zu setzen. Mir fällt auf, dass es keinen Eingang gibt, dafür aber neben jeder Palme einen Ausgang. Ich frage mich, wie all die Leute hereingekommen sind.
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Am Dienstag komme ich wieder her, denn man schafft es nie, alle Tiere zu besichtigen, egal wie lange man bleibt. Es ist nämlich so, dass je länger man bleibt, desto mehr Tiere bekommt man zu sehen.
Manchmal lassen Leute die Schubladen auf und die Tiere wechseln ihre Plätze. Das kostet den Zoowärter den letzten Nerv, er ist Legastheniker und setzt sich seit Jahren für Zahlenschlösser ein.
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Am Mittwoch regnet es. Mir ist kalt und ich habe das Gefühl, dass ich schon die ganze Nacht gefroren habe. In meinem Hals muss ein Seeigel Schutz gesucht haben. Ich öffne meine Augen, versuche sie noch weiter zu öffnen als sowieso schon und fasse mir an die Augen, um mich zu überzeugen, dass ich sie wirklich geöffnet habe, denn warum ist es sonst so verdammt dunkel hier, aber meine Hände sind so groß, dass sie meinen Kopf immer wieder verfehlen.
„Hallo?“, will ich rufen, aber aus meinem Mund kommt nur ein heiseres Bellen. Das kommt sicher von den Halsschmerzen, denke ich.
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Am Donnerstag wache ich mit feuchten Nüstern auf. Es gefällt mir darüberzustreichen. Sie sind weicher als alles, was ich je angefasst habe und im Minutentakt gebe ich ein verächtliches Schnauben von mir. Ich wollte schon immer ein Pferd sein.
„Halloooo?“, rufe ich.
„Ist da jemand?“, antwortet einer.
„Ja, ich!“
„Wo sind Sie?“, fragt er.
„Hier drin!“, antworte ich.
Dann, ganz sanft, klopft jemand an.
„Ja, bitte.“
Durch einen Spalt, der immer breiter wird, strömt Licht herein. Meine Augen tränen. Ich erhasche einen verschwommenen Blick auf das Süßwasseraquarium gegenüber, darin lebt ein Zwiebelfisch. Außen auf der Schublade ist ein rotes Schild angebracht, das eine durchgestrichene Träne zeigt. Gierige Blicke und Feierabendstimmen taxieren mich. Das obligatorische „Wir schließen gleich“, gibt mir wieder ein wenig Intimsphäre zurück. Mir ist inzwischen klar geworden, dass ich nun selbst in einer Schublade gelandet bin.
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Am Freitag befestigt der Zoowärter ein Vorhängeschloss an meiner Schublade und ich bekomme fortan keinen Besuch mehr.
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Am Samstag bekomme ich Wasser und Brot. Und dann alkoholfreie Schwarzwälder Kirschtorte, in meiner Dekokirsche ist ein Stein. Es ist Fütterung und ich verspeise unter den wachsamen Augen zahlreicher alter Männer mein Mahl. Heute ist an der Kasse Seniorenrabatt, eine gute Sache eigentlich. Und einer von ihnen hat sogar Geburtstag und durfte ganz umsonst rein.
Ich lasse meinen Blick ein wenig kreisen und denke an bessere Zeiten. Nur ein paar Schubladen weiter lebt die Wasserhenne mit ihren 18 Küken, die alle männlich sind. Sie hat darauf bestanden sie alle Florian zu nennen, weil sie schon immer ein Kind haben wollte, dass Florian heißt und weil ihr Großvater auch Florian hieß.
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Am Sonntag sorgt eine Spinne für Aufregung. Sie ist verschwunden und sehr exotisch. Die Leute blicken ständig an sich selbst herunter, voller Sorge, sie könne ihnen das Hosenbein hinaufklettern. Es ist eine subtropische Wäsche-Arachnida, die sich die Haare versengt hat, als sie über die Zentralheizung gekrabbelt ist. Am Abend findet der Zoowärter sie dann krächzend bei den Schmutzfinken und den Spaßvögeln in der Freiluftschublade.