Dora Feld: Der Fall Kaktus

5. Platz beim Putlitzer Preis® 2017

Eigentlich war Kaktus mein Freund. Ich habe ihn bekommen, als er noch ganz klein in einem winzigen Töpfchen steckte. Ich mochte ihn und er wuchs. Irgendwann konnte ich mir mein Zimmer nicht mehr ohne ihn vorstellen. Wir mussten nicht einmal miteinander reden, so gut verstanden wir uns. Ein Blickwechsel reichte. Dachte ich jedenfalls.

Doch dann entwickelte Kaktus eine seltsame Gewohnheit. Eines Tages, als ich gutgläubig und nichtsahnend in der Küche Kaffee holte, fiel er herunter. Ich war gerade mit dem Becher in der Hand auf dem Rückweg ins Zimmer, als es dort krachte. Und da lag er. Topf zerbrochen, Erde überall. Ich habe mir nicht viel dabei gedacht, kaufte schleunigst einen komfortableren Topf und suchte für Kaktus einen besseren Platz. Ich war gerührt, das Problem so schnell und nachhaltig zu seinem Besten gelöst zu haben.

Ich hatte mich getäuscht. Ohne Vorwarnung fiel Kaktus nach einer Weile wieder. Als ich in der Küche Kaffee holte. Und dann wieder, und wieder. Inzwischen ist er in meinem Zimmer weit herumgezogen. Auf den Schrank, auf den Schreibtisch, zu den Büchern, auf das CD-Regal: Es gibt kein freies Plätzchen mehr, auf dem er nicht schon einmal gestanden hat. Ich habe mehr Geld für seine Töpfe ausgegeben als irgendeine Frau Chance hätte, von mir für Schuhe zu bekommen. Und ich habe schon etliche Klamotten wegwerfen müssen, weil er direkt auf sie gefallen war und sie mit seinen Stacheln verseuchte.

Ich habe versucht, Gesetzmäßigkeiten in seinem Fallen zu finden. Es gibt sie nicht. Es können Monate vergehen, bis er wieder fällt. Oder nur wenige Tage. Und ich muss nicht unbedingt immer Kaffee holen. Einmal ist er gefallen, als ich mir die Hände waschen wollte. Und einmal hat er es getan, als ich mich nur kurz abwandte.

Wie kann er mir derart in den Rücken fallen? Ich dachte, ich hätte es ihm hier bequem und gemütlich gemacht und nun liegt alles voller Scherben! Wenn ich die Heizung anmache, stinkt es nach Staub und Erde, als lebte ich in einem Grab. Und er schwillt vor Stolz wie ein überdimensionaler Phallus, lacht in sich hinein und schämt sich nicht mal. Dabei hat er keine Ahnung, was er in Wirklichkeit ist: eine gewöhnliche, nutzlose Kratzbürste.

Ich habe sogar versucht, vernünftig mit ihm zu reden! Es sei doch nicht so schwer, sagte ich. Geranien, zum Beispiel, fallen ja auch nicht ständig vom Balkon. Und ich sitze jeden Tag am Schreibtisch, wie es sich gehört, obwohl es mich nicht gerade vom Hocker reißt. Da brauche ich nun wirklich keine Kakteen mehr, die mir um die Ohren fliegen und uneinsichtig bleiben. Aber wie soll man mit so einem ein Gespräch führen? Unmöglich, bei all seinen Stacheln zu ihm durchzudringen.

Da liegt er nun auf dem Trockenen, wie ein gefallener Engel. Willkommen auf dem Boden der Tatsachen, Wüstenvogel! Jetzt wirst du lernen müssen, dass du einen neuen Topf überhaupt erst verdienen musst. Und dass es auch länger dauern kann. Zuwendung fällt eben nicht vom Himmel. Und falls – nur falls! – du wieder eingetopft wirst, bekommst du einen kleinen Plastiktopf mit Steinen drin und wirst an die Wand gefesselt. Dort, wo du ganz am Anfang gestanden hast. Damit du weißt, wo dein Platz ist. Du bist ja schließlich nur ein Kaktus. Nur ein Kaktus.

 

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