Barbara Ostrop: Das Optimum

1. Platz Putlitzer Preis® 2022

Wie die Ozeane unseres Planeten – aus dem Weltraum betrachtet – die Kontinente zu Inseln machen, die in der blauen Fläche treiben, so wirkt auch das Weltall beim nächtlichen Blick in den Raum wie eine Weite von Nichts, in der das Etwas nur hier und da verhalten glitzert und blinzelt. Das Nichts scheint allmächtig zu sein, das Etwas darin verloren.

Doch der Schein trügt. Die Physik lehrt, dass innerhalb von Raum und Zeit immer Etwas ist und nie Nichts, und selbst der leerste Raum ist noch von Quantenfluktuationen erfüllt.

In dem kleinen, rechteckigen Ausschnitt des Universums, den wir unseren neuen Garten nennen, will ich nichts und du willst etwas, und wie überall zieht das Nichts den Kürzeren.

Deine Vorstellung von einem Garten ist das Labyrinth. Eine Fülle von Büschen, Sträuchern, Blumenbeeten und Rabatten, zwischen denen schmale Pfade in verborgene Winkel führen. Meine Vorstellung von einem Garten ist eine Rasenfläche und nichts.

Nichts, was die Bahn des Rasenmähers stört.

Man könnte fragen, wäre kein Garten nicht noch mehr Nichts als eine rechteckige Rasenfläche? Ja, aber du wolltest ein Haus mit Garten, und wie immer hast du dich durchgesetzt. Jetzt haben wir den Garten und den Kampf um nichts.

Es ist nicht gerecht, dass das Nichts so wehrlos ist wie die Stille und sofort weicht, wenn es vom Etwas bedrängt wird. Bedrängt von einer Pflanze zum Beispiel. Es hat keine Zähne, mit denen es sie verzehren könnte. Es hat keine Wurzeln, Zweige und Ableger, mit denen es den Eindringling verdrängen könnte. Es kann nur eines machen: nichts.

„Wäre ein Haselstrauch nicht schön, Karl?“, fragst du. „Wir hätten ein bisschen Schatten. Und im Herbst lockt er bestimmt ein Eichhörnchen an.“ Du kaufst einen Pflanztopf, aus dem ein Zweig mit drei Blättern ragt. Sieht nach wenig aus. Ich aber weiß, dass es der Anfang vom Ende des Optimums ist.

Statt mit dem Rasenmäher Streifen über das Grün zu ziehen, zirkele ich um den Zweig herum, umschließe ihn mit einer kreisrunden Bahn. Und schon ist es vorbei mit der schönen Ordnung, in der der frisch gemähte Rasen so adrett gestriegelt wirkte wie mit Gel nach hinten gekämmtes Haar.

Zudem gibt das Gewächs niemals Ruhe. Sobald der kleine Hasel in der Erde ist, nimmt er seinen Kampf gegen meine Vorstellung vom Optimum auf. Innerhalb von Tagen schiebt sich ein zweiter Zweig heraus. Neue Blätter sprießen. Ich weiß, was kommen wird: Schon in wenigen Jahren wird sich ein riesiger Busch in alle Richtungen recken.

„Du hast doch immer noch mehr als genug Rasen“, sagst du. „Wir alle müssen Kompromisse schließen.“ Und du legst mitten im Garten ein kreisrundes Beet mit Stauden an.

Es ist nicht schön, nicht gehört zu werden. Jemand, der das Nichts liebt, macht nicht viele Worte. Wenn einer halb so viel spricht, sollte man ihm doppelt so gut zuhören. Das wäre gerecht. Mir müsstest du fast unendlich gut zuhören.

Stattdessen beginnst du von einem Kirschbaum zu reden. Mit roten Früchten, die aus dem grünen Laub herausleuchten. Ich schweige verdrossen. „Sag doch einmal, was du willst“, bedrängst du mich. „Sollen wir vielleicht einen Apfelbaum pflanzen?“

Als wäre das die Alternative. Kirschbaum oder Apfelbaum. Dabei ist die eigentliche Entscheidung doch die zwischen etwas und einfach nichts.

Aus einer höheren Warte betrachtet mag es gleichgültig sein, ob in unserem Garten ein paar Büsche und Blumen wachsen. Schaut man aus dem Weltraum herunter, gleicht sich alles aus. Für mich aber hier unten macht es einen großen Unterschied, ob mir die saubere Ordnung der gleichmäßigen Rasenfläche entgegenschaut oder wuchernde Zweige und eine Kakofonie von Farben.

Eine Zeitlang überlege ich, ein paar Laster voll Kies zu bestellen und die Ladung im Garten auskippen zu lassen. Ein Berg Schotter sagt mehr als tausend Worte.

Dann aber denke ich an die Arbeit, die es machen würde, den Kies gleichmäßig auszubreiten.

Und so komme ich auf eine andere Lösung.

In ein kleines Kännchen schütte ich etwas von dem Benzin, das mein Rasenmäher trinkt.

Nachts stehe ich auf und tappe in den Garten. Ich gehe herum und tue, was zu tun ist. Als ich ins Haus zurückkehren will, stehst du im Dunkeln und schaust mir entgegen.

„Was machst du, Karl?“, rufst du mir von der Terrassentür zu. Ich glaube, du hast Verdacht geschöpft. Doch ich kenne die richtige Antwort: „Nichts.“

Du hebst den Arm, um mir das Kännchen aus der Hand zu fegen. Ich fange den Schlag ab, stoße dich ein wenig zu fest, und da, wo eigentlich nichts sein sollte, kommt deinem Kopf eine Mauerecke entgegen.

Ich grabe die halbe Nacht, zerre die Stauden aus dem kreisrunden Beet und hebe eine Grube für dich aus. Morgen werde ich frischen Rasen ansähen. Vielleicht wird er dort, wo du liegst, ein wenig grüner wachsen. Doch das gleicht sich mit der Zeit aus. Es wird so sein, wie ich es liebe: eine Rasenfläche und darauf nichts.

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